Zahlreiche Kamerateams vor dem Haus von Oscar Pistorius' Onkel in Pretoria.
Zahlreiche Kamerateams vor dem Haus von Oscar Pistorius' Onkel in Pretoria.
AP/Tsvangirayi Mukwazhi

Es war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Fotos von Oscar Pistorius auf den Markt kommen würden. Kein Kriminalfall hat Südafrika während seiner demokratischen Geschichte so sehr in den Bann gezogen wie Pistorius‘ tödliche Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp. Keiner wurde so ausführlich im Fernsehen übertragen, hunderte Stunden und dutzende Dokumentationen lang. Elf Jahre ist das her.

Als er in diesem Jänner vorzeitig aus der Haft entlassen und die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, brachten die Behörden ihn heimlich und fernab von dutzenden Kamerateams aus dem Gefängnis in das abgeriegelte Haus seines Onkels Arnold in Pretoria. So erklärt sich das aktuelle Medienspektakel, das die Fotos des Verlags Netwerk 24 weltweit auslösen. Ein Paparazzo hat ihn am Montag auf einer Straße in Pretoria abgelichtet, schlank, die Haare ergraut und schütterer als bei den letzten Aufnahmen vor acht Jahren. Und zur großen Empörung vieler: mit einem Grinsen im Gesicht.

13 Jahre Haft wegen Totschlags

Der ehemalige Paralympics-Star, der im Jahr 2012 als erster beidseitig unterschenkelamputierter Prothesenläufer bei den Olympischen Spielen weltweit bekannt wurde, beharrt bis heute darauf, dass er Steenkamp mit einem Einbrecher verwechselt habe. Das Gericht schenkte ihm damals durchaus Glauben. Letztlich war der bis dahin bestens vermarktete Star dennoch zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt worden. Er habe so oder so den Tod eines Menschen in Kauf genommen, hieß es in der Urteilsbegründung. Derartige Feinheiten sind in Südafrika bei der Beurteilung von Pistorius längst verblasst.

Dass er jetzt nicht etwa beim Stadtbummel, sondern beim vorgeschriebenen Pflichtbesuch der Gefängnisbehörden abgelichtet wurde, fand weder in den unzähligen lokalen und internationalen Veröffentlichungen noch in den sozialen Netzwerken Beachtung. Auch wurde kaum zur Kenntnis genommen, dass sein Lächeln schlicht bei einem Gespräch mit einem Parkwächter entstanden ist, wie aus anderen Fotos hervorgeht.

"Würde ihm das Grinsen auslöschen"

Das Interesse ist gewaltig, und das nicht nur in Südafrika, wo es zuletzt sogar eine Opernaufführung zu dem Kriminalfall gab. "Wenn ich könnte, würde ich ihm das Grinsen aus dem Gesicht auslöschen", zitierte das britische Revolverblatt Daily Mail die Reaktion eines angeblichen Freundes der verstorbenen Steenkamp, der sich angesichts der strafbaren Drohung selbstverständlich anonymisieren ließ.

Wenige Tage zuvor hatte die NY Post in den USA ein ebenfalls namentlich nicht genanntes Mitglied der Kirche ausgemacht, in der Pistorius unentgeltliche Arbeit leistet. "Ich weiß gar nicht, ob ich je gesehen habe, dass er mal gelächelt hat", beschwerte sich der Mann wiederum über die angeblich "unfreundliche, zurückhaltende" Art des Resozialisierungskandidaten.

Vermeintliche Versöhnung

Doch besonders die südafrikanische Gier nach Details zum Fall Pistorius hat wohl auch damit zu tun, dass in dem Land Sportlern ungewöhnlich hohe gesellschaftliche Relevanz zugeschrieben wird. Während der Apartheid traf der Ausschluss der Sportteams von großen Turnieren die Identität so manches sportverrückten Weißen ähnlich hart wie die wirtschaftlichen Sanktionen. Und in den 1990ern waren es im Positiven internationale Triumphe des mehrheitlich "weißen" Rugby-Teams und der von Schwarzen geprägten Fußballnationalmannschaft, die zu Symbolen einer vermeintlich versöhnten "Regenbogennation" wurden.

Pistorius verkörperte dagegen die erschreckende Kriminalitätsrate, die weiter zu den höchsten der Welt gehört. Im vergangenen Jahr gab es 75 Morde in Südafrika – pro Tag. Im Vergleich zu 2013, dem Jahr von Pistorius’ tödlichen Schüssen auf Steenkamp, ist das eine Steigerung um 60 Prozent. Lange begleitete seinen Prozess zudem der Vorwurf, dass Reiche wie Pistorius von der Justiz bevorzugt behandelt würden – zumindest bei der Aussetzung seiner Reststrafe zur Bewährung zu Unrecht. Er wäre eigentlich schon im vergangenen Jahr dafür infrage gekommen – die maroden Justizbehörden, die eigentlich als einer der letzten Pfeiler der wankenden Nation gelten, verrechneten sich.

Interviewverbot

Für Pistorius' erstes Interview sind übrigens dem Vernehmen nach vor allem britische Fernsehsender bereit, hohe sechsstellige Eurobeträge zu zählen. Diese Taktlosigkeit hat sich Pistorius nicht zuschulden kommen lassen. Zumindest noch nicht – Interviews wurden ihm als Teil der Bewährungsauflagen bis zum Ablauf seiner Haftstrafe im Jahr 2029 untersagt. (Christian Putsch aus Kapstadt, 26.4.2024)