Fabian Frühstück wirft.
Neun der 16 Spieler von West Wien dürften auch für eine U18 spielen, so auch Fabian Frühstück (hier beim Wurf).

West Wien 2022/23, das war an Absurdität nicht zu überbieten: Der Traditionsklub musste sich mangels Unterstützung der Stadt Wien aus finanziellen Gründen aus der Handballliga zurückziehen und wurde auf der Abschiedstour prompt Meister.

West Wien 2023/24, das ist an Absurdität nun aber wirklich nicht mehr zu überbieten – diesmal aber im positiven Sinn. Aber alles von vorne. "Wir sind nicht vor dem Abgrund gestanden, wir waren im Abgrund. Ganz, ganz unten", sagt Trainer und Sportdirektor Roland Marouschek dem STANDARD. Nur weil es die Hobbymannschaft des Vereins in das Regionalliga-Aufstiegs-Playoff geschafft hatte, durften West Wiens Überbleibsel ihren Platz in der zweiten Liga übernehmen.

Jugend forscht

Marouschek stoppelte aus drei Spielern der "alten" Mannschaft und dem traditionell starken Nachwuchs ein Team zusammen, das in der Challenge-Liga schnell Fuß fasste und mittlerweile vor dem Aufstieg steht. Das wäre ganz für sich schon bemerkenswert, aber was sich am Wochenende in Schwaz zutrug, spielt in einer ganz anderen Liga. Auch mit gesundem Losglück war West Wien ins Final Four des österreichischen Cups gekommen. "Wir sind dort hingefahren und haben gesagt: Schauen wir, dass wir am Freitag ein cooles Match machen, lernen wir dazu und setzen uns dann gemütlich in unseren Bus und fahren heim", erzählt Marouschek.

Der Teil mit dem "coolen Match" hat funktioniert, der Teil mit dem gemütlichen Heimfahren eher weniger. West Wien schlug Erstligist Graz 28:25 und durfte in Schwaz übernachten. "Die Hälfte der Mannschaft hat keine Zahnbürste eingepackt", sagte Paul Pfeifer.

Der Druck des Favoriten

Im Finale wartete Schwaz. Der Ex-aequo-Erste des HLA-Grunddurchgangs ging als klarer Titelfavorit in das Final Four und hatte die ausverkaufte Halle hinter sich. Schwaz musste quasi gewinnen. Aber, aber: "Wenn im Zusammenhang mit Sport das Wort 'muss' vorkommt, wird es verdammt schwer", sagt Marouschek. Tatsächlich lieferte Schwaz eine holprige Partie, West Wien nützte das gnadenlos aus. Nach zehn Minuten stand es schon 8:4 für den Underdog, in die Pause ging es mit 15:10.

"Druck hin, Druck her: Wir sind körperlich unterlegen, sind im Schnitt wahrscheinlich zehn Jahre jünger", erinnert Marouschek. "Drei der Spieler machen nächste Woche schriftliche Matura, der Großteil geht nächstes Jahr auch noch in die Schule. Und wir spielen gegen Profispieler und Nationalspieler."

Finales Zittern, finales Zaubern

Vier Minuten vor Schluss schien die Partie mit 28:24 für West Wien entschieden, ehe das Handballmärchen doch noch an den bösen Wolf zu gehen schien. Schwaz warf in doppelter Überzahl vier Tore en suite, die Verlängerung stand vor der Tür. Aber West Wien hatte ein paar Sekunden vor Schluss noch einen Freiwurf. Auftritt Paul Pfeifer: Der 23-Jährige schupfte den Ball diagonal in die Flugbahn des von links in den Wurfkreis segelnden Andreas Dräger, der vollendete den "Flieger". 29:28, der Zweitligist war Cupsieger.

Das Siegerfoto.
Die Cupsieger samt Trainer Roland Marouschek ganz rechts.

"Sie haben sich das spontan mit einem Zwinkern ausgemacht. Es war ein Genieblitz. Ein von hundert Mal funktioniert das, es war die Belohnung für die Arbeit in diesen beiden Spielen", sagt Marouschek. Die Belohnung für die Arbeit in der Liga harrt noch ihrer Ernte, am Dienstag könnte West Wien gegen Atzgersdorf die Rückkehr in die Meisterliga fixieren, sogar bei einer Niederlage wäre man noch klar im Vorteil.

Geänderte Vorzeichen

Warum klappt es jetzt auch finanziell? "Die Stadt Wien hilft uns deutlich mehr als früher", sagt Marouschek. Die Mannschaft kann in Liesing trainieren und ihre Spiele in der Stadthalle B austragen, das kommt günstiger als die alte Lösung als Trainings-Wanderzirkus mit Heimspielen in der Südstadt. Zudem sei der junge Kader extrem günstig.

"Sportlich sind wir auf einem irre guten Weg, finanziell werden wir es nächstes Jahr hinkriegen", sagt Marouschek. West Wien habe Gönner und Unterstützer, aber: "Was uns nach wie vor wahnsinnig fehlt, ist ein professioneller Sponsor. Da geht es im Vergleich zu anderen Sportarten um Peanuts."

Hallenzukunft?

Mittelfristig sei die 2025 zu eröffnende Multifunktions-Sporthalle im zweiten Bezirk eine "sehr tolle Option. Da muss man aber Spitzenhandball bieten, der auch Leute anspricht." Momentan passe die Stadthalle: "Da sind 300 Fans eine Superstimmung, in so einer 3000er-Halle wäre das ein Begräbnis."

Auf dem Weg zum Spitzenhandball brauche der Verein noch mehr Unterstützung der öffentlichen Hand, fordert Marouschek. Handball würde nie Gewinn bringen, sondern immer Unterstützung brauchen. "Wir wollen ja nicht erhalten werden, weil wir uns ein schönes Leben machen." Zahllose Spieler der EM-Sensationsmannschaft hatten ihre ersten Handbälle bei West Wien geworfen, auch im derzeitigen Kader sind Leistungsträger der Nachwuchs-Nationalteams. Zu nennen wäre da beispielsweise Final-Topscorer Clemens Möstl, der 18-jährige Bruder von Teamgoalie Constantin.

Marouschek will die Leistung seines Vereins aber nicht auf Sportliches beschränken. "Wir bilden überragende Menschen aus. Das sind Leute, die arbeiten können, die einen Spirit haben. Diese Sportler sind im Arbeitsleben Diamanten!" Cup-Goldtorschütze Dräger macht beispielsweise die Ausbildung zum Physiotherapeuten. "Der geht um halb acht in die Akademie und schafft oft das 18-Uhr-Training nicht, weil er nicht wegkommt und nicht zu viele Fehlstunden haben darf." Insofern gut, dass das Cupfinale schon am Samstag war – das mit der gemütlichen Heimfahrt dürfte auch nach dem Finale eher nicht geklappt haben. (Martin Schauhuber, 22.4.2024)