Rustikal ade: Optisch unterscheidet sich der All Terrain nicht mehr gravierend vom "normalen" T-Modell. Die Luftfederung erlaubt aber 46 mm mehr Bodenfreiheit.
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"All Terrain“ verrät schon die Absicht dahinter: Dieser seltene Repräsentant des bei Bedarf hochbeinigen Nobelkombis soll auch im Gelände gute Figur machen. "Wir sind selten und besonders": Ein fiktives Interview mit der Diesel-Plug-in-Hybrid-Version.

STANDARD: Erst einmal zum Knigge. Wenn man bei Ihren Kollegen von Volkswagen im Dialog geduzt wird, lässt man das seufzend durchgehen. Aber bei einem Mercedes der 100.000-Euro-Klasse? Wo bleiben die guten Umgangsformen? Oder halten Sie es mit Goethes "Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist"?

All-Terrain: Na ja. Ich entstamme einer altehrwürdigen deutschen Familie, aber die jungen Leute heute legen keinen Wert mehr auf Manieren, also passe ich mich dem Zeit(un)geist an. Wie heißt es so schön: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

STANDARD: Sie sprechen ein gepflegtes Deutsch – warum wünschen Sie Ihren Insassen via Display dann nicht frohe Ostern, sondern Happy Easter?

All-Terrain: Das müssen Sie meine Programmierer und die Konzernleitung fragen. Die haben halt nur mehr wenig am Hut mit Muttersprache und christlichem Abendland.

STANDARD: Verstehe, dieselbe Anbiederungsmasche. Auch nicht gerade höflich: Sie ziehen häufig hektisch die Gurte stramm und vollziehen eine Vollbremsung, wo gar keine Gefahr vorhanden ist.

All-Terrain: Das sagen Sie! Meine sensorische Wahrnehmung ist eben darauf ausgerichtet, Sie so wohlbehütet und unbeschadet wie möglich von A nach B zu bringen. Und kommen Sie mir nicht mit "unnötiges Gepiepse", wenn ich wieder einmal das Tempolimit falsch detektiert habe. Das haben mir die Dam- und Herrschaften in Brüssel eingebrockt. Zudem soll mir in Zukunft niemand mehr ins Lenkrad greifen, ich übernehme dann komplett das Steuer, für Ihren maximalen Reisekomfort.

Einblick in das Innenleben: Kunsthandwerk trifft technoide Welt.
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STANDARD: Alles Mosaiksteine auf dem Weg zum vollautonomen Fahren, da darf man schon ein wenig Leidensfähigkeit erwarten, ist das etwa so gemeint?

All-Terrain: Exakt.

STANDARD: Warum setzen Sie auf eine solche Überdosis digitale Welt, wo doch eher Menschen einer Altersgruppe Sie ordern, die noch nicht zur "gebeugten Generation" zählen, wie Soziologen die "Smart-Device-Junkies" nennen?

All-Terrain: Siehe oben: Wer nicht mit der Zeit geht ... Es gilt das Mozart-Motto: Così fan tutte. So machen’s alle.

STANDARD: Ihr distinguiertes Erscheinungsbild wirkt, als würden Sie neuerdings statt Bergschuhen mit Profilsohle Flipflops oder Slipper tragen.

All-Terrain: Ich habe mich diesbezüglich genau bei meiner Klientel umgehört. Ihr Wunsch ist mir Befehl.

Greift man zu Plug-in-Hybrid, bleibt beim Kofferraum noch eine kleine Stufe, die das Fassungsvermögen schmälert.
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STANDARD: Wie stellen Sie es im Gelände an, nicht auf jedem Wald- und Wiesenrain aufzusitzen?

All-Terrain: Ähnlich wie bisher. Wählen Sie den entsprechenden Modus, so passe ich die Fahrprogramme an, und die Einkammerluftfederung, Stichwort Niveauregulierung, ermöglich 46 Millimeter mehr Bodenfreiheit als bei meinem Bruder, dem normalen T-Modell.

STANDARD: Hoch das Bein, okay, aber warum schummeln Sie beim Namen? Alle Terrains? Lächerlich. Das kann, wenn, Ihr Cousin G aus Graz.

Für den Einsatz abseits befestigter Straßen wählt man das entsprechende Fahrprogramm aus.
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All-Terrain: Zugestanden. Aber haben Sie schon mal was von Marketing gehört? Außerdem haben Sie mich abseits befestigter Straßen nicht vollinhaltlich geprüft. Sie würden staunen über meine Fähigkeiten. Doch zugestanden, "All" geht nicht.

STANDARD: Ich bin mit Ihnen nach Veldes (Bled) gefahren auf eine Cremeschnitte, vor allem aber zu einem BMW-Termin. Auffällig: So was wie Sie gibt es überhaupt nicht unter weiß-blauer Flagge.

All-Terrain: Wir waren immer schon selten und besonders. Nur die Marke mit den vier Ringen, der ich selbst letztlich meine Existenz verdanke, und die aus dem hohen Norden haben Vergleichbares hervorgebracht, nämlich auf meiner noblen Augenhöhe.

Die Heckklappe schwingt weit auf, praktisch beim Beladen.
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STANDARD: Bei all dem Kombi-Sterben: Rechnen Sie nach Ablauf Ihres Lebenszyklus' mit einer Wiedergeburt – und warum gibt es von Ihrem Vetter EQE, der ständig unter Strom steht, nicht so einen praktisch veranlagten Kumpel wie Sie?

All-Terrain: Punkt eins steht in den Mercedes-Sternen, Punkt zwei liegt daran, dass unsereins nur mehr in Europa, und zwar hauptsächlich in Europas Mitte, begehrt ist. Außerdem: Charaktertypen sind nun einmal selten und besonders.

STANDARD: Apropos: Was treibt Sie so an im Alltag?

All-Terrain: Oh, eine ganze Menge. Ein Reihensechser-Otto mit 280 kW (381 PS), ein Vierzylinder-(145 kW / 197 PS) und ein Reihensechszylinder-Selbstzünder (270 kW / 367 PS), allesamt mit 48-Volt-Mildhybrid sowie ein Diesel-Plug-in-Hybrid.

Geladen wird an der linken Flanke, die elektrische Reichweite beträgt bis zu 102 Kilometer.
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STANDARD: Und im konkreten Fall?

All-Terrain: Letzterer.

STANDARD: Etwas genauer?

Die Heckansicht bestätigt: das T-Modell All-Terrain ist eine rundum elegante Erscheinung. Die LED-Leuchtengrafik ist übrigens in Mercedes-Stern-Optik gehalten, hübsche Spielerei.
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All-Terrain: Der Antriebsdoppelpack besteht aus dem oben genannten Vierzylinder-Diesel und einem E-Motor mit 95 kW (129 PS), beide mit je 400 Newtonmetern Drehmoment. Ergibt systemisch 230 kW (313 PS).

STANDARD: Wir haben in Österreich eine Ministerin, die schätzt diese Kombination gar nicht. Wie argumentieren Sie deren Sinnhaftigkeit?

All-Terrain: Sie haben bemerkt, ich bin sparsam wie die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau. 5,6 Liter Sprit und 17,4 kWh Strom auf 100 km jeweils in Singulärbetrieb, und Sie fuhren viel, weit und zügig Autobahn. Für einen großen Lackl wie mich ist das äußerst genügsam, Sie äußerten sich ja selbst mehrfach anerkennend darüber und über den Komfortumstand, in einem Schwung 1000 km weit zu kommen. Jaja, ich habe gelauscht, das ist einfach bei meinen umfangreichen elektronischen Möglichkeiten.

STANDARD: Unbestritten, die Sache mit der Sparsamkeit. Sie erkaufen das jedoch durch Abstriche bei der Kernkompetenz: weniger Kofferraum. Statt sonst 615 bis 1830 Liter sind es 460 bis 1675.

All-Terrain: Schon. Aber haben Sie den Fortschritt bemerkt? Noch vor einer Generation war da ab halber Kofferraumtiefe eine große, hässliche, hohe Stufe. Die ist weg, der Boden nur mehr ein paar Millimeter erhöht. Außerdem befördere ich Sie mit weniger Platzverlust deutlich weiter lokal emissionsfrei, statt bisher 53 jetzt maximal 102 Kilometer, real waren es bei Ihnen stets zwischen 75 und 80, wie ich beobachten konnte. Und zum Kofferraum: Nächstes Mal, sollte es mich da noch geben, gibt es keine Einbußen mehr, ich versprech’s.

STANDARD: Sind Sie ein Typ zum Pferdestehlen?

All-Terrain: Ja und nein. Nein, weil ich es mit dem Gesetz halte. Ja, weil ich 2,1 Tonnen ziehen kann. Da können Sie einen Haflinger in den Pferdeanhänger stellen, und ich lasse Sie nicht im Stich. Wäre dann halt eine Pferdestärke mehr.

Rund um den All Terrain

Audi

Audi hatte 1999 als Erster in der Premiumliga die Idee mit dem rustikalisierten Hochbein-Kombi: Der A6 allroad quattro war gedacht als Überbrückung bis zum ersten SUV, er wurde ein Überraschungserfolg.

Subaru

Im Massensegment fällt einem natürlich der Outback ein – Subaru bespielt das Thema noch länger. Anders als Audi beim A6 und Mercedes bei der E-Klasse hat er keine Niveauregulierung, dafür aber 213 mm Bodenfreiheit.

Volvo

Im Jahr 2000 stieg Volvo mit dem XC70 ins Geschehen ein. Gegenwärtig führen die Schweden V60 und V90 (Bild) als Cross Country, Letzterer wäre einer der wenigen direkten Gegner des Mercedes.

Mercedes-Benz

Tja, und wenn es um echte Geländekünste geht: Das leisten Fahrzeuge vom Zuschnitt E-Klasse All-Terrain natürlich nicht. Da müsste von Mercedes der legendäre G ran, der demnächst auch elektrisch kommt.