Epigenetik Schwangerschaft
Sogenannte epigenetische Uhren zeigen, dass die Zellen von Schwangeren schneller altern. Nach der Geburt scheint es jedoch zu ebenso ausgeprägten Verjüngungseffekten zu kommen.
IMAGO/Alexandra C. Ribeiro

Schwangerschaften gehören zu den radikalsten Transformationsprozessen des Körpers. Die Versorgung eines heranwachsenden Fötus erfordert eine Reihe tiefgreifender hormoneller und physiologischer Veränderungen, die jedes wichtige Organ im Körper betreffen und die auch zu ernsthaften gesundheitlichen Komplikationen wie Bluthochdruck oder Diabetes führen können. Selbst die Hirnzellen verdrahten sich während der Schwangerschaft neu.

Altert der Körper von Schwangeren in den Monaten dieser Extrembelastung entsprechend schneller? Und lässt sich das womöglich auch messen? Was nach einer eher hypothetischen Forschungsfrage klingt, wird seit einigen Jahren intensiv untersucht. Denn es gibt neue Methoden, um Alterungsprozesse auf zellulärer Ebene zu analysieren: Insbesondere sogenannte epigenetische Marker – wie die Länge der Telomere oder die DNA-Methylierungen – geben über das biologische Alter Auskunft.

Uhren, die anders ticken

DNA-Methylierungen sind winzige chemische Modifikationen des Erbguts, die sich – anders als die DNA selbst – im Laufe eines Lebens verändern können. Diese Methylierungen bilden bestimmte Muster, anhand derer Forschende mittels eigener Algorithmen das biologische Alter eines Menschen schätzen können, das sich von dem in der Geburtsurkunde eingetragenen Alter wesentlich unterscheiden kann. Wenn beispielsweise ein Organ als wesentlich "älter" eingestuft wird als das tatsächliche Alter einer Person, bedeutet dies in der Regel, dass es schneller Schäden angesammelt hat, was häufig das Risiko von Tod und Krankheit erhöht.

Mehrere neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass körperlicher Stress ganz allgemein und jener der Schwangerschaft im Besonderen zu einer Beschleunigung von Alterungsprozessen führt. Bereits im Vorjahr kam ein Team der Harvard Medical School unter der Leitung des Biomediziners Vadim Gladyshev im Fachblatt Cell Metabolism zum Schluss, dass Zellen während der Schwangerschaft schneller altern als üblich – womöglich um bis zu zwei Jahre.

Zwei Jahre in 20 Wochen

Beschränkte sich diese Studie noch auf einige wenige Blutproben, hatte der US-Perinatalforscher Kieran O’Donnell (Yale School of Medicine) mit seinen Kollegen Blutproben von 119 Personen zu verschiedenen Zeitpunkten während und nach der Schwangerschaft gesammelt. Die Forschenden konzentrierten sich bei ihren Analysen insbesondere auf die Veränderungen bei den DNA-Methylierungen. Das Ende März ebenfalls in Cell Metabolism veröffentlichte Ergebnis deckte sich weitgehend mit dem des Harvard-Teams: Schwangere altern in zwanzig Wochen gegen Ende der Schwangerschaft laut dieser "epigenetischen Uhr" um zwei Jahre.

Eine dritte Studie eines Teams um Calen Ryan (Columbia University in New York) untersuchte mit einer ähnlichen Methode eine noch größere Gruppe: Sie werteten 1.735 Datensätze von 20- bis 22-jährigen Probandinnen und Probanden aus den Philippinen nach sechs epigenetischen Altersmarkern aus. Laut diesen Analysen, die kürzlich im Fachblatt PNAS veröffentlicht wurden, schienen die 314 Studienteilnehmerinnen, die bereits mindestens einmal schwanger gewesen waren, im Vergleich mit den 511 kinderlosen Probandinnen vier bis 14 Monate älter. Frauen, die bereits mehrere Schwangerschaften hinter sich hatten, waren noch schneller epigenetisch gealtert. Bei der männlichen Kontrollgruppe hingegen konnten keine Auswirkungen einer Vaterschaft auf das biologische Alter nachgewiesen werden.

Verjüngung nach der Geburt

Doch hält diese vorzeitige Alterung bei Schwangeren an? Und wenn ja, wie lange? Das Team um Kieran O'Donnell hat mit seinem Team bei 68 Teilnehmerinnen der Studie drei Monate nach der Geburt Blutproben genommen, die eine dramatische Umkehrung zeigten: Laut den Algorithmen der Forschenden erschien das biologisches Alter jetzt drei bis zu acht Jahre geringer als zu Beginn der Schwangerschaft. Der Effekt schien bei Frauen, die vor der Schwangerschaft ein höheres Körpergewicht hatten, etwas schwächer zu sein, während er bei Frauen, die stillten, verstärkt war.

Für O'Donnell ist freilich nicht ganz klar, ob es sich bei dieser Umkehrung um einen echten "Verjüngungseffekt" handelt und die Zellen tatsächlich biologisch "jünger" sind als vor der Schwangerschaft. Es sei zudem unklar, welche Auswirkungen die beobachtete Zu- und Abnahme des biologischen Alters auf künftige Gesundheitsergebnisse oder die Lebensspanne haben.

Offensichtlich scheint damit vor allem zweierlei: Erstens liefern die Studien weitere Bestätigungen, dass die Schwangerschaft eine erhebliche Herausforderung für die Gesundheit darstellt. Und zweitens drängt sich der Schluss auf, dass die Algorithmen der epigenetischen Uhren womöglich noch einige Adjustierungen brauchen.

Mütter leben länger als Kinderlose

Bleibt die Gretchenfrage, ob Frauen, die Kinder auf die Welt bringen, länger oder kürzer leben als kinderlose Frauen oder Männer. Dazu ist die internationale Studienlage etwas dünn. Auskunft findet sich in zwei Untersuchungen, die auf die Daten von über vier Millionen schwedischen Frauen und Männern zurückgreifen, die zwischen 1915 und 1960 geboren wurden. Auswertungen dieser Zahlen ergaben, dass die 60-jährigen Mütter im Schnitt noch 24,6 Jahre vor sich hatten, während die weitere Lebenserwartung der kinderlosen Frauen bei 23,1 Jahren lag.

Ist eine Schwangerschaft letztlich also doch lebensverlängernd? Weitere Auswertungen lassen dann doch wieder daran zweifeln: Denn erstens ist der lebensverlängernde Effekt bei Männern, die Väter wurden, noch größer und beträgt zwei Jahre. Und zweitens steigt laut einer weiteren Studie die Lebenserwartung von Personen, die ein Kind adoptierten, gleich um drei Jahre. (Klaus Taschwer, 21.4.2024)